Folter, Todesstrafen und Hinrichtungen
Finstere Zeiten in Königsberg
Der Name der Stadt Königsberg ist in aller Welt verbunden mit der Erinnerung an ihre herausragende Bedeutung für Kunst, Kultur, Wissenschaft, Handel und Schifffahrt.
Eine umfangreiche Liste von Söhnen und Töchtern der Stadt Königsberg i. Pr. seit dem 16. Jahrhundert auf Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_S%C3%B6hnen_und_T%C3%B6chtern_der_Stadt_K%C3%B6nigsberg) gibt einen ersten Eindruck von der beeindruckenden kulturellen Bedeutung dieser Stadt.
Viele der großen Leistungen der dort lebenden Menschen waren seit seiner Regierungszeit eng verbunden mit Friedrich II. (1712 – 1786), der als „aufgeklärter Absolutist“ wichtige Weichen für das weitere Aufblühen dieser Stadt stellte. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass das Leben in der späteren Kulturhochburg Königsberg zu früheren Zeiten auch überschattet war von grausamen Ereignissen und nur schwer zu ertragenden Lebensbedingungen.
Besonders bedrückende Beispiele für die Verhältnisse nicht nur in dieser Stadt bietet die Geschichte der Hexenverfolgung und der Scharfrichter Königsbergs. In einem durch kirchliche und weltliche Machthaber geschaffenen gesellschaftlichen Klima hatte sich ein Berufszweig herausgebildet, der sowohl hochgeachtet wie auch verachtet und gefürchtet war: die Kaste der Scharfrichter. In Königsberg lag dieser blutige Erwerbszweig über viele Jahre in der Hand der Familie Growert, von der jeweils einer der Söhne das barbarische Handwerk von seinem Vater übernahm.
In Preußen war die Folter bis ins 18. Jahrhundert gängige Praxis. Immerhin schaffte der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), Vater von Friedrich dem Großen, im Jahr 1714 die Hexenprozesse faktisch ab. So musste jede Folter und jedes Todesurteil von ihm persönlich bestätigt werden. Eine solche, auf dem Vorwurf der Hexerei gründende Bestätigung fand jedoch nie statt, was das Ende der Hexenprozesse auch in Ost- und Westpreußen bedeutete.
Schlecht für die Growerts, denen damit jedenfalls ein Teil ihrer gewerblichen Einnahmen wegbrach. Wohlgemerkt „ein Teil“, denn entgegen landläufiger Annahme waren nach wie vor Folter und Todesstrafe – auch unter der Herrschaft von Friedrich dem Großen – keineswegs gänzlich „abgeschafft“. Wie wir heute wissen, wurden Majestätsverbrechen wie Landesverrat und Mord auch wie bisher mit dem Tod bestraft, und auch die Folter wurde weiterhin angewandt, musste jedoch durch den König bestätigt werden. Ein allgemeines Folterverbot gab es erst seit 1754. [Fußnote 1]
Gottfried Growert war der erste Königsberger Scharfrichter, der den Titel „Königlicher Hofscharfrichter“ tragen durfte. Über dessen blutige Bilanz nach 50jähriger Amtszeit berichtet Carl Schulz: [Fußnote 2]
„Von ihm wurden während seiner 50jährigen Amtszeit nur mit dem Schwert allein 115 Personen in die Ewigkeit geschickt, ganz zu schweigen von denen, die seine Hände durch Feuer, Wasser, Rad und Strang sterben ließen.“
Dabei mordeten Kirche und Staat durch ihren Königlichen Hofscharfrichter keineswegs nur solche Delinquenten, die für Verbrecher gehalten wurden. Auch der Hexerei beschuldigte Menschen und sogar Kinder wurden Opfer dieser dunklen Zeit. In einem Fall, dem der erst 14jährigen Anna Kuhn, tötete der Berufshenker Gottfried Growert ein unschuldiges Mädchen, weil sie aufgrund ihrer Kleinwüchsigkeit als Hexe angesehen wurde.
Carl Schulz berichtet: „… eine unnütze Hinrichtung war z. B. die der armen Anna Kuhn, eines 14jährigen noch nicht eingesegneten Kindes, das am 25. April 1695 seiner kleinen Gestalt wegen stehend den Todesstreich empfing, und mit dessen unschuldigem Blut Growert sein Schwert besudelte. Der kleinen Sünderin todeswürdiges Verbrechen bestand lediglich darin, für eine Hexe gehalten zu werden, die der Teufel mit seinem intimen Verkehr beehrte. Sie war des Scharfrichters Growert letztes Hexenopfer in unserer Stadt.“ [Fußnote 3]
An der Außenmauer der Steindammer Kirche in Königsberg befand sich noch 1928 [Fußnote 4] eine Gedenktafel aus rotem Stein mit nachstehender Inschrift:
Barbarische Justiz nicht nur in Königsberg: Hinrichtung von David van der Leyen und Levina Ghyselius in Gent, 14. Februar 1554, nach einer Darstellung von Jan Luyken - De Martelaersspiegel by Thieleman Janszoon van Braght –
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wikiFile:Hinrichtung_von_David_van_der_Leyen_und_Levina_Ghyselius_in_Gent,_14._Februar_1554.jpg
„Anno 1716 den 9. Juni hat Herr Gottfried Growert, Königl. Hof- und der dreien Städte Königsberg und über die ganze Königl. Militz Scharf- und Nachrichter, diese Stätte und Erbbegräbnis vor sich und seine Erben gekauft und diesen Stein zum Zeichen setzen lassen.
Der Richter, der sehr scharf am Jüngsten Tag wird richten
Und alles böse Fleisch mit ewgen Brandt zernichten,
Will mit dem heiligen Schwerdt des Geistes bei mir stehn
Und läßt mich durch sein Blut zur ewgen Ruh eingehn.
Herr Gottfr. Growert, gest. Anno 1732 am 19. Januar.
Frau Anna Katharina Growert geb. Untermannin,
gest. 1724 den 26. März.
Wandersmann komm! Kannst du lesen?
Was du bist, bin ich gewesen.
Wandersmann auf dieser Erden,
Was ich bin, daß mußt du werden.“ [Fußnote 5]
Carl Schulz beschreibt diesen Stein weiter: „Inmitten des Ganzen findet sich ein erhaben gearbeitetes Skelett mit Stundenglas und nach unten gekehrter Sense, daneben ein grünender Baum.“ [Fußnote 6]
Auch in Ost- und Westpreußen wurde noch lange nach dem Tod Friedrichs des Großen gerädert: Der Raubmörder Rudolf Kühnapfel [5] war wegen der Ermordung des Andreas Stanislaus von Hatten, des Bischofs von Ermland, verurteilt worden und wurde am 7. Juli des Jahres 1841 im ostpreußischen Frauenburg durch die besonders grausame Hinrichtungsmethode des Räderns hingerichtet.
Quelle:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/6Q6P2ND3FEBXHAV4A5XAZ2ZABHZ3XZ6D
(cg)
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Klassisches Rädern mit Rad und scharfkantigen Hölzern (aus der Schweizer Chronik des Johannes Stumpf, Ausg. Augsburg 1586) – Quelle: Klassisches Rädern mit Rad und scharfkantigen Hölzern (Schweizer Chronik des Johannes Stumpf, Ausg. Augsburg 1586)
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Waren hier auch die Scharfrichter der Familie Growert ihrem blutrünstigen Gewerbe nachgegangen? Königsberg, Die Scharfrichterei, Haustür und Austrittsgeländer, Bülowstraße 32 – Aufnahme um 1910/20 (Quelle: https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/cgi-bin/bildarchiv/suche/show_foto.cgi?lang=deutsch&id=17471&showmenu=1&bildinfos=1&showmenu=1&bildinfos=1 )
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[Fußnote 1]
Zur Legende, wonach Friedrich der Große auch die Todesstrafe abgeschafft habe: Am 10. Juni 1786 wurde ein Todesurteil gegen Johann Höpner, einen Dieb und Brandstifter Friedrich II. zur Genehmigung vorgelegt, „verbunden mit der Frage, ob ein alter Geheimbefehl des Königs noch in Kraft sei, wonach zum Feuertod verurteilte Menschen vor dem Verbrennen heimlich erdrosselt werden sollten“. Der König bestätigte das Urteil und wies mehrere Gnadengesuche zurück. Am 15. August 1786 wurde der Delinquent auf dem Gartenplatz vor den Toren Berlins bei lebendigem Leib, so hieß es in mehreren zeitgenössischen Berichten, verbrannt. Friedrich II., der noch heute von vielen seiner Verehrer als derjenige angesehen wird, der die Todesstrafe in Preußen abschaffte, starb zwei Tage nach der Hinrichtung Höpners. (Angaben nach: „Der letzte Scheiterhaufen des alten Fritz“ von Martin Rath vom 22.4.2012, gefunden in https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/rechtsgeschichte-der-letzte-scheiterhaufen-des-alten-fritz/ am 06.07.2022 – 12.00 Uhr)
[Fußnote 2]:
APG Nr. 2 1928, S. 28 f. – dort zitiert mit: „Funk, Ueber das Hexenwesen in Königsberg (Preuß. Archiv 1795)“
[Fußnote 3]:
Funk, Ueber das Hexenwesen in Königsberg (Preuß. Archiv 1795), zitiert nach Carl Schulz „Das Grabdenkmal eines Scharfrichters“ in: APG Nr. 2 1928, S. 28 f.
Anmerkung: Mit dem Hinweis auf „Funk“ ist offenbar das Werk von Johann Daniel Funck „Ueber das Hexenwesen in Königsberg – Ein Beitrag zur Criminalgeschichte des vorigen Jahrhunderts“ (Preussisches Archiv 6 (1795), 9, S. 528-558) gemeint, das in einer Online-Ausgabe aus dem Jahr 2013 im Katalog der TU Braunschweig verzeichnet ist (https://katalog.ub.tu-braunschweig.de/vufind/Search2Record/76637548X gesehen am 6.7.2022 12.00 Uhr).
[Fußnote 4]
Erscheinungsdatum der APG Nr. 2
[Fußnote 5]
Funk, Ueber das Hexenwesen in Königsberg (Preuß. Archiv 1795), zitiert nach Carl Schulz „Das Grabdenkmal eines Scharfrichters“ in: APG Nr. 2 1928, S. 28 f.
[Fußnote 6]
wie vor